Almanca Makaleler

 

 

SEELSORGE IN ISLAMISCHER TRADITION

 

Ali SEYYAR [1]

 

Einleitung

Der Islam, der den Menschen als von Gott erschaffenes Wesen aus Materie und Geist (Seele) definiert, kennt, befürwortet und praktiziert seit seinem Bestehen seelsorgerische Dienste an dem Menschen in vielfältiger Weise. Die islamische Seelsorge hat zwar eine lange Tradition, ist aber nur eine von vielen religiösen Aufgaben und Verpflichtungen eines jeden Gläubigen. Der Islam, der sowohl jenseitsbezogene als auch weltliche Glaubensideale und Grundregeln vorsieht, kann daher nicht einfach unter einem einzigen Begriff wie “Seelsorge” definiert werden. Zwar gibt es im Koran für den Ausdruck “Seelsorge” keine direkte Entsprechung, aber sie wird als eine obligatorische Aufgabe, die die Seele von allen weltlichen und gesitigen Risiken fernhält, verstanden und gelebt und dementsprechend gehört sie zu den elemantarischen Glaubensvoraussetzungen im Islam.

1. Grundlegendes zur islamischen Seelsorge

1.1. Die Beziehung zwischen Religion und Wissenschaft

- Nach islamischer Auffasung basiert die wissenschaftlich-orientierte seelsorgerische Arbeit auf zwei Grundlagen: Göttliche Offenbarung (Religion) und Menschenverstand (Wissenschaft). Beide Aspekte stehen nicht im Konflikt zueinander.

- Die Religion (Islam) bestimmt die Ziele und Aufgaben der seelsorgerischen Dienste, die Wissenschaft sucht die legalen Methoden zur Erreichung dieser Ziele.

- Die Wissenschaft beeinflusst und bestimmt das menschliche Denken, die Religion dagegen ordnet diese Gedanken innerhalb der Glaubenslehre.

- Eine von der Religion unabhängige (seelsorgerische) Wissenschaft ist praktisch nicht im Stande die spirituelle Wahrheit und den Sinn des Lebens offenkundig zu machen und eine von der Wissenschaft getrennte Religion ist ebenfalls außer Stande den menschlichen Verstand und das Herz gleichzeitig zu befriedigen.

- Die Wissenschaft beruft sich auf Tatbestände und Beweise. Wissenschaftlich-orientierter Glaube bedeutet demnach mit dem (geistigem) Verstand (bzw. spirituelle Intelligenz – SI) diese Beweise zu verinnerlichen.

2. Individuelle und institutionelle Seelsorge im Islam

Nach islamischem Verständnis ist ein seelsorgerisches Bemühen, das die Beziehung zu Gott verfestigt, nicht an ein institutionelles Amt gebunden. Jeder gläubige Muslim, ist sowohl für seine eigene geistige Entwicklung zuständig und verantwortlich als auch im Stande für andere notleidende Menschen begleitende Seelsorge im Sinne des Beistehens, Mittragens und Mithelfens zu leisten. Jeder Muslim ist befähigt und berufen soziale und geistige Verantwortung gegenüber seinem Mitmenschen zu tragen. Seelsorge versteht sich in diesem Sinne als eine soziale Beziehung zwischen Menschen, unter denen aufgrund einer gut funktionierenden geistigen Verbundenheit (Liebe/Verantwortung) eine freiwillige Solidarität existiert. Im speziellen Sinn ist es aber durchaus möglich und angebracht, dass auch profesionelle islamische Seelsorger/innen insbesondere im Bereich der begleitenden Dienste mitwirken. Demzufolge gibt es in den örtlichen Dienststellen, die dem Amt für religiöse Angelegenheiten angehören, Telefon- und Internetseelsorge.

3. Die Seele als göttliche Eigenschaft

Unter den Lebewesen ist der Mensch, sowohl in materieller als auch in geistiger Hinsicht in vollkommener Weise erschaffen. Es gibt unterschiedlche Arten und Formen von Wesen. Die Seele des Menschen gehört ebenfalls zu den erschaffenen Wesen, das nicht materieller Art ist. Die Seele und ihre geistigen Funktionen (Gewissen, Herz, Verstand, Inspiration usw.) sind es, die den Menschen zum geistigen Wesen macht. Im Koran wird ausdrücklich die Seele und ihre Enstehung im Rahmen göttlicher und menschlicher Beziehung erwähnt.

“Allah ist es, der alles schön und vollkommen erschafft (erschaffen hat); Und Er begann die Schöpfung des Menschen aus Ton (Töpfer-Erde). Dann bildete Er seine Nachkommenschaft aus der Substanz einer gewöhnlichen (ordinären) Flüssigkeit. Dann formte Er ihn und hauchte ihm (in dem menschlichen Körper) von Seiner (eigenen) Seele ein. Und Er hat euch Ohren (Höreigenschaft) und Augen (Seheigenschaft) und Herzen (spirituelle Wahrnehmungseigenschaft) verliehen. Aber (troztdem) ist euer Dank (sehr) gering.” (Secde 32/7-9)

Um die Beziehung zu sich selbst, zu Gott und zu den anderen Menschen herzustellen und verstehen zu können, ist es wichtig die Funktionen der seelischen Vorgänge (geistigen Mechanismen) zu entdecken. Der Mensch besitzt eine Vielzahl von geistigen Mechanismen, deren Quelle in der von Gott geliehenen Seele verankert ist. Die göttliche Eigenschaft der Seele wird im Koran wie folgt bestätigt:

“O Mohammed, wenn dir hinsichtlich der Seele gefragt wird, so sage Ihnen: Die Seele ist in Obhut (Befehlsgewalt) Allah’s. Diesbezüglich ist jedoch euch an Wissen wenig gegeben.” (Isra;17/ 85).

Die Seele ist im Gegensatz zu Gott im nachhinein erschaffen. Sie ist und existiert eigentlich unabhängig vom menschlichen Körper. Der menschliche Körper dagegen ist um leben zu können von der Seele anhängig. Die Seele wird mit der embrionalen Entwicklung zu einem vorübergehenden Bestandteil des Körpers und verlässt ihn wieder mit dem Tode des Menschen. Der Mensch genießt deshalb eine spirituelle Hochachtung, weil in ihm sich eine Seele mit göttlichen Eigenschaften befindet. Die Seele ist kein Element, das in verschiedene Teile zerlegt werden kann. Die Seele ist ein nicht trennbares Ganzes, das nach ihrer Erschaffung eine ewige Existenz genießt.

Da die Seele von Gott stammt und somit göttliche Eigenschaften besitzt, hat Gott in jeden Menschen einen göttlichen Funken gelegt, der im tiefsten (spirituellen) Herzen verborgen ist. Wenn Menschen die göttlichen Richtlinien einhalten und sich Gott unterwerfen (dem Islam anpassen) so sind sie in der Lage das Göttliche in sich zu finden bzw. wiederzuentdecken. Gott gibt somit den Menschen die Möglichkeit sich selbst (seine Seele) und damit seinen Schöpfer zu entdecken. Im Koran wird auf diese Möglichkeit hingewiesen:

„Ich habe Dschins (Geister) und die Menschen nur deshalb erschaffen, damit sie (mich erkennen und somit) mich anbeten (mir dienen)“. (Zariya; 52/56).

Gleichzeitig wird aber dieser spirituelle Funke und die Erkenntnis auch durch die Liebe zu allem, was nicht Gott und göttlich ist, verschleiert, genauso wie durch die Aufmerksamkeit gegenüber den Banalitäten der (materiellen) Welt, sowie durch Achtlosigkeit und Vergesslichkeit.

3.1. Die Beziehung zwischen Verstand und spirituellem Herz (Seele)

Die Quelle der geistigen Kräfte des Verstands entspringt aus dem Herzen (Seele). Ohne Licht des Herzens (Seele) sind die vom Verstand entwickelten Ideen und Meinungen unvollständig. Um den wahren Glauben herzustellen und zu bewahren ist es daher wichtig vom Herzen (von der Seele) zu denken und zu verstehen.

4. Das (tyrannische) Ego als satanische Eigenschaft

Das (tyrannische) Ego (nefs-i emmare), das als Gegenpol zu der reinen Seele im selben Körper des Menschen erschaffen ist, ist der (animalische) Geist, das durch satanische Einflüsse das Böse repräsentiert und den Menschen zur Sünden verleitet. Der Koran, zeigt eindeutig die (spirituelle) Gefahr, die aus dem (satanischen-tyrannischen) Ego, hervorkommt:

“Ohne Zweifel das (satanische) Ego befiehlt das Böse (die Schlechtigkeit)” (Yusuf, 12/52).

Der vom Satan unter Einfluss stehender Geist (Nefis), wird deshalb im Islam als das (tyrannische) Ego (Nefsi-emmare), das auch als “das niedere Selbst” angesehen werden kann, bezeichnet. Das Ego, das nicht von einer spirituellen Erziehung und Rehabilation geprägt ist ist eine Gefahr für das Seelenheil und für den Menschen als soziales Wesen in der Gesellschaft.

Das Ego (Nefis), das auf den Teufel hört, ist nicht im Stande seine eigenen Fehler zu sehen. Wer mit seinem eigenen Ego zufrieden ist, kann seine Fehler und Sünden nicht sehen und somit sie nicht gestehen. Das ist ein Hindernis zur Bitte um Vergebung. Wer nicht Zuflucht zu Gott sucht wird letzendlich zu einem Spielzeug in der Hand des Teufels.

Selbst der Prophet Yoseph ist vom (tyrannischen) Ego (Nefs-i emmare) nicht sicher. Im Koran spricht Yoseph wie folgt:

“Und ich erachte mich selbst nicht frei von Schwäche Wahrlich, das (tyrannische) Ego (Nefs-i emmare) ist dem Bösen zugeneigt (gebietet oft das Böse), soweit nicht mein Herr sich meiner erbarmt. Fürwahr, mein Herr ist allverzeihend, barmherzig”. (Yusuf; 12/53)

So sollte ein jeder Mensch nicht auf sein Ego vertrauen und stattdessen immer im Kampf mit dem Ego und im Frieden mit dem spirituellen Herz (Seele) sein.

5. Tradionelle Seelsorge im Sufismus

Die Lehre von der Seelsorge (Seelenheil) ist insbesondere ein wichtiges Teilgebiet des sufistischen (mystischen) Islam (Sufismus). Der Ausdruck Sufismus bezeichnet seit dem Enstehen des Islams eine geistige Strömung innerhalb dieser Religion. Deren Anhänger (Sufis, Derwische) widmen sich meist (institutionell) einem spezifischen Typus von Spiritualität. Für die Ausarbeitung ihrer theoretischen und praktischen Lehren beziehen sich die Anhänger des Sufismus auf einen „inneren Sinn“ (Batin) des Korans und insbesondere auf Verse, welche sich auf eine individuelle geistige Beziehung oder Unmittelbarkeit zu Gott beziehen lassen, sowie auf die Sunna (Vorbild des Prohpeten Mohammed in Wort und Handlung.)

Ziel und Zweck des Sufismus ist das Wissen um Gott und die Entfaltung der Glaubenswahrheiten durch eine innere-seelische Reise zu verwirklichen. Der Schlüssel und das Mittel zu dieser Reise des (spirituellen) Herzens (Seele) und geistigen Voranschreitens sind das Gedenken Gottes (Zikir) und die Konzentration auf geistige Inhalte (Tefekkür-Kontemplation). Durch meditative Wahrnehmung und geistige Entdeckung erfährt der Gläubige den wahren Trost, die Geborgenheit, Lieblichkeit und Frohsinn im Inneren des Herzens (Seele). Die wichtigste Voraussetzung der inneren Reise ist, das Ego (Nefis) zu brechen, die Leidenschaften aufzugeben und das tyrannische (eigenwillige) Ego (nefs-i emmare) zu töten.

Der Sufismus hat einen erheblichen Anteil geleistet um die geeignetsten metaphysischen Instrumente für die seelische Entwicklung des Menschen herzustellen. Das spirituelle Leben eines gläubigen Menschen besteht darin dass er wenig schläft, wenig isst, viel fastet, viel betet und den Hilfsbedürftigen und Armen materiell und geistig Beistand leistet. Der Zustand von absolutem Einssein mit dem Schöpfer ist nur durch Verzicht von allen von Gott verbotenen Nahrungen und weltlichen Gelüsten möglich.

Die Vernichtung (Auflösung) des Selbst bzw. die strenge Kontrolle des eigenen egoistischen Triebs (Nefs-i emmare) und die auf Intuition basierende Gotteserkenntnis (Marifetullah) sind zwei Grundelemente der sufistischen (Selbst)-Seelsorge im Islam. Die innere Ausrichtung des sipirituellen Herzens (Seele) auf Gott mittels strenger Eingrenzung der egoistischen (satanischen) Triebe wird auch allen Gläubigen empfohlen.

Die Zentren bzw. Versammlungsorte der unterschiedlichen sufistischen Orden, (Dergah, Tekke, Zaviye) leis(te)ten dementsprechend für außenstehende Personen mit unterschiedlicher sozialer Herkunft externe seelsorgeriche Dienste. Die sufistischen Orden werden von einem geistigen Führer (Şeyh, Mürşit) geleitet, der durch eine Überlieferungskette (Silsila) bis über den Propheten Mohammed mit der göttlichen Wissensquelle verbunden ist.

6. Die Stufen seelischer Entwicklung

Die spirituelle Entwicklung im Islam basiert auf vier Stufen:

1.) Auf die Glaubenspraxis bezogene islamische Rechtslehre (Scharia): Die Scharia ist unmittelbar, schattenlos und unverschleiert das Ergebnis einer Ansprache Gottes im Geheimnis Seiner Einheit (ahadiyet) und absoluten Herrschaft. Auf dem Niveau von Scharia gibt es „dein und mein“. Das heißt, dass das religiöse Gesetz individuelle Rechte und ethische Beziehungen zwischen den Menschen regelt.

2.) Seelenheil (der rechte spirituelle Weg-Tarikat): Um gegen die Gefahren egoistischer Täuschungen auf der Erde vorbereitet sein zu können, ist eine gewissenhafte geistige Verantwortung notwendig. Auf der Stufe der seelenheilenden Weltanschaung gilt unter den Mitmenschen die folgende Regel: „Meins ist deins und deins ist meins“. Von den vom Ego befreiten Muslimen wird erwartet, dass sie sich gegenseitig als Brüder und Schwestern behandeln, den jeweils anderen an seinen Freuden, seiner Liebe und seinem Eigentum teilhaben lassen.

3.) Wahrheitssuche (Hakikat): Auf der Stufe der Wahrheitsfindung gibt es „weder meins noch deins“. Seelisch fortgeschrittene Muslime erkennen, dass alle Dinge von Gott kommen, dass sie selbst nur die Verwalter sind und in Wirklichkeit nichts besitzen. Diejenigen, die die geistige Wahrheit erkennen, interessieren sich nicht für Besitz und Äußerlichkeiten im Allgemeinen, Bekanntheit und gesellschaftlichen Stand inbegriffen.

4.) Gotteserkenntnis (Marifetullah): Auf der geistigen Stufe der göttlichen Erkenntnis gibt es „kein ich und kein du“. Der einzelne erkennt, dass nichts und niemand von Gott getrennt ist. In dieser Stufe erkennt der Muslim, dass Gott die ganze Welt als eine einzige zusammenhängende geistige Einheit geschaffen hat, damit die Menschen nur den höchsten Schöpfer erkennen und preisen. Durch die spirituelle Reise seines Herzens wird letzendlich ein Muslim ein vollkommener Mensch (insanu-l’kamil), ein wahrer Gläubiger, d.h. der Muslim hat nicht nur einen oberflächlichen Glauben wie jederman, sondern er gewinnt durch diese spirituelle Erkenntnis zudem einen echten Glauben, der ihm zum Repräsentanten des Schöpfers (Halif) auf der Erde macht.

7. Konzepte der islamischen Seelsorge

7.1. Seelsorge als Liebe zu allen Lebewesen

Um die Nähe, ja sogar die Einheit mit Gott zu erreichen, ist neben der absoluten Unterwerfung zu Allah (Islam) auch die Liebe zu allen erschaffenen Wesen notwendig. Der Spruch von Yunus Emre, weist auf diesen Zustand hin: „Dem Schöpfer zuliebe liebe ich alles, was erschaffen ist“. Um die aufrichtige Liebe herzustellen muss jedoch das Herz (die Seele) frei von Hass und Habgier sein. Die universelle Liebe im Islam ist immer im Sinne der Liebe zu Gott (muhabetullah) zu verstehen, die die „Hinwendung (zu Gott)“ erst ermöglicht.

7.2. Seelsorge als geistige und ethische Führung (Irşat)

Der Islam, als eine die letzte von Gott offenbarte Religion, sieht sich verpflichtet, allen Menschen auf der Erde den rechten Weg aufzuzeigen. Ziel der geistigen Aufklärung im Sinne der islamischen Seelsorge ist es, den Menschen eine Haltung anzubieten, die den göttlichen Erwartungen (so wie sie im Koran und Sunna erwähnt sind) entpricht. Dementsprechend ist ein jeder Gläubiger, ob mit einem amtlichen Rang oder nicht ein geistiger Aufklärer bzw. Seelsorger (Mürşit). Da aber die Seele in der Obhut Gottes liegt, ist dementsprechend der eigentliche Wegweiser nur Gott allein. Denn im Koran heißt es:

“Nur diejenigen finden den rechten Weg, deren Wegweiser Allah ist und diejenigen die Allah vom rechten Weg entfernt, finden keinen (seelsorgerischen) Freund, der Ihnen den rechten Weg zeigt”. (Kehf; 18/17).

Eines der 99 Namen (Attribute) Allah’s lautet in diesem Zusammenhang RAŞİD, d.h. alle Handlungen und Einwirkungen Gottes sind absolut zutreffend und zielorientiert. In diesem Sinne ist ein Muslim, als Nachkommen und Vetreter des ersten Menschen und Propheten Adam, von Gott beauftragt, seelsorgerische Dienste und geistige Aufklärung für alle Menschen zu leisten.

Ziel der geistigen Aufklärung ist es, spirituelle Krankheiten (Maraz-i Kalp), die im Herzen (in der Seele) aufgrund ethischer Fehlverhalten enstanden sind, durch religiöse Ermahnung zu rehabilitieren. Denn wenn eine reumütige Sinnesänderung im Herzen nicht stattfindet, so besteht die Gefahr, dass die Glaubensnormen verletzt und durch wiederkehrende Sünden die Zeichen der Heuchelei offenkundig werden. Wenn der Sündige keine geistige Anstrengung unternimmt und Reue zeigt, verliert er zudem die Barmherzigkeit Gottes, so dass seine geistige Krankheit sich verfestigt. Im Koran ermahnt Gott wie folgt:

“In den Herzen (Seelen) der Heuchler verbirgt sich eine (spirituelle) Krankheit (Scheinheiligkeit) und Allah hat deren Krankheit vermehrt”. (Bakara; 2/10).

7.3. Seelsorge als geistige Selbstverantwortung

Die Besonderheit des Ego (Nefis) ist es, das Gute sich selbst zu vermachen und darauf stolz und hochmütig zu sein. In diesem Schritt sollte man bei seinem Ego eigentlich nur Fehler, Mängel, Schwäche und Armseligkeit erkennen und verstehen, dass alle Schönheiten und Vollkommenheiten Geschenke sind, die vom Schöpfer gegeben wurden. So lautet es im Koran:

»Was dich an Gutem trifft, kommt von Gott, was dich an Schlimmen trifft, kommt von dir selbst.« (Sure 4, 79)

Man sollte daher statt auf sich selbt stolz zu sein Gott für die unendlichen Gaben danken und loben. Man sollte vielleicht seine Vollkommenheit in seiner Unvollkommenheit, seine Macht in seiner Schwäche und sein Reichtum in seiner Armseligkeit im Angesichts Gottes wissen.

7.4. Seelsorge als Mahnung von den Sünden

Unsichtbare Krankheiten der Seele und des Herzens sind manchmal gefährlicher als körperliche Krankheiten. Jede Sünde, die wir begehen und jeder Zweifel, der uns kommt, fügt unserem Herzen Wunden zu. Diese unsichtbaren Wunden bedrohen unser ganzes, langes, ewiges Leben. Die geistigen Wunden werden das Innere unseres Herzens, die Stätte des Glaubens, belasten und den Glauben zum Schwanken bringen. Sobald die Sünde einmal in das Herz eingedrungen ist und ohne Reue zu begehen wiederholt wird, verdunkelt sie es immer mehr, bis das Licht des Glaubens ausgelöscht ist.

In jeder Sünde ist ein Weg zum Unglauben verborgen. Wird die Sünde nicht gleich durch das Verlangen nach Vergebung gelöscht, wächst die Wahrscheinlichkeit sie zu verharmlosen und das Herz (Seele) wird vom (tyrannischen) Ego (nefsi-emmare) geleitet.

Beispielsweise wird jemand, der eine große Sünde begeht, welche Höllenstrafen nach sich ziehen kann, das Nichtvorhandensein der Hölle aus ganzer Seele wünschen und einen geringen Anlass oder Zweifel nutzen, um die Hölle zu leugnen, wenn er nicht zum Schutz den Schild der Vergebung aufnimmt. Aus dieser Leugnung wird dann der Wunsch erwachsen, Allah zu leugnen, worunter man bereits ein Gefühl der Feindschaft Ihm gegenüber ahnen kann. Kommt dann ein Zweifel an der Existenz Gottes in sein Herz, wird er versuchen, diesen Zweifel als einen schlüssigen Beweis zu etikettieren. Und letztlich ensteht das, was durch seelische Anstrengung und Hingabe zu Gott eigentlich zu vermeiden wäre.

“Wahrlich, ihre Herzen sind wie mit Rost befleckt”.  (Mutatifin; 83/14)

7.5. Seelsorge als Wiederstand gegen das eigene Ego (Nefs-i Emmare)

Um die weltlichen Gelüste und Triebe in den Zügeln zu halten, ist es wichtig, dass das tyrannische Ego (nefsi-emmare), durch Züchtigung unter Kontrolle gehalten wird. Nur so ist es möglich das (spirituelle) Herz (Seele) rein zu halten und die Bindung zu Gott zu verstärken. Der Wunsch Sünden zu begehen wird somit ebenfalls minimiert. Die weltlichen Gelüste können in der Regel nicht absolut eliminiert werden. Es ist auch nicht die Absicht der seelsorgerichen Dienste alles Weltliche zu untermauern. Wichtig ist es, dass das Ego (Nefis) immer unter geistiger Kontrolle gehalten wird. Das tyrannische Ego (nefsi-emmare), das eine Gefahr für die seelische Entwicklung ist, sollte deshalb nicht gleichmütig hingenommen werden. Im Koran wird diesbezüglich ermahnt: „Erklärt euch (euren tyrannischen Ego) nicht selbst für rein. Ihm (Allah) ist am besten kund, wer sich vor Bösem hütet“ (Necm; 53/32).

Insbesondere der egoistische Mensch liebt von seinem Wesen und seiner Veranlagung her sich selbst. Ja vielmehr liebt er an erster Stelle und direkt sein Wesen. Er opfert alles andere seinem Selbst. Ein egositsicher Mensch erklärt sich selbst von schändlichen Handlungen frei und spricht sich frei. Er verteidigt sich heftig in der Art einer Selbstverehrung. Er lobt sich selbst und erklärt sich als fehlerfrei auf einer Art, wie es eigentlich nur dem Schöpfer gebührt. Er verwendet die Fähigkeiten, die seinem Wesen anvertraut sind, um den Schöpfer zu loben und zu preisen, für sich selbst. So erfährt er das Geheimnis von “Einem, der seine persönliche Neigung sich zu seinem Gott gemacht hat”. (Furkan; Sure 25/43).

Um nicht ein Opfer dieser spirituellen Falle zu sein, bedarf es dem Kampf gegen das (tyrannische) Ego (nefs-i emmare). Wichtig ist es, durch eigene seelsorgerische Anstrengung das Ego in positive Eigenschaften umzuformen. Auf diese Weise kann man einzelne Stationen durchlaufen, deren höchste die reine Seele (an-nafs al-safiya) ist. Wer also sein Ego von allem Bösen enfernt und eine sittliche Lebensführung beabsichtigt, der erweckt sein geistliches Leben und genießt diesseits und jenseits sein Seelenheil. (Şems; 91/9). Deshalb ist es wichtig, den Kampf mit sich selbst (i.S. des satanischen Ego’s) durch eine immerwährende geistige Anstrengung fortzuführen.

Seelische Heilungsmethoden durch den Widerstand mit sich selbst

Die unterschiedlichen Wünsche und Schwächen des tyrannischen Egos (Nefs-i Emmare)

 

(Spirituelle Krankheiten)

Bewältigungsmethoden für die einzelnen Wünschen des tyrannischen Egos

 

(Rehabilitationskonzepte spiritueller Krankheiten)

Den Erfolg oder das Gute als Eigenwerk ansehen und dabei in Hochmut geraten. Wunsch nach Ruhm und Popularität.

Den Erfolg oder das Gute von Allah wissen; Das Geleistete als Segen ansehen und dafür Allah danken.

An Applaus und Lob Anderer Gefallen finden.

Dem Ego kein Vertrauen schenken und immer in Bescheidenheit leben.

 

Nur an sich Denken, selbstsüchtig, egoistisch und eigennützig sein, nur sich selbst mögen.

Das eigene Ego als Feind ansehen und es verabscheuen, seelische Gefühle achten und das Gewissen berücksichtigen, sich Gott anvertrauen, Opferbereitschaft zeigen und die Wahrheit entdecken.

 

In der Annahme des Rechthabens sich verteidigen, Sünden begehen und seine eigenen Fehler nicht einsehen und sich reinwaschen.

 

Dem Recht und dem reinen Gewissen sich unterwerfen, seine eigene Fehler akzeptieren und gegeüber Gott und den Menschen herzliche Reue zeigen.

Hintergedanken und böse Absichten pflegen und arglistig sein.

Wohlwollen und Geduld zeigen, den Menschen im Namen Allah’s lieben.

 

 

7.6. Seelsorge als Möglichkeit zur Reue und Hoffnung

Eine einzige gute Tat wiegt im Angesicht Gottes manchmal schwerer als tausend Sünden. Das führt dazu, dass alle Sünden vergeben werden können. Da nun einmal die göttliche Gerechtigkeit auf diese Weise richtet, ist es offensichtlich, dass die guten Werke eines Gläubigen überwiegen. Auf Grund schwerer Verfehlungen kann ein Mensch zu einem Sünder werden, jedoch wird er dadurch kein Ungläubiger. In seiner Liebe zu Gott und zu allen Lebewesen, rettet er seinen Glauben, da Gott Ihn aufgrund seiner Reue verzeiht.

Wer vom Herzen seine Fehler eingesteht, der bittet im Angesicht Gottes um Vergebung. Ein Geständnis abzulegen heißt, Vergebung zu verdienen. Wer also Zuflucht zum allbarmherzigen Gott unternimmt, der rettet sich einersetis vor der Bosheit des Satans und andererseits gelangt er zum seelischen Frieden.

8. Seelsorge im Koran am Beispiel der Krankheit Hiob’s

Der Prohpet Hiob (Eyyub) wurde mit einer schweren Kranheit getestet, die ihn pflegebedürftig machte. Während er lange Zeit zahllose Wunden und blaue Flecken trug, vergegenwärtigte er sich den Lohn für seine Leiden und ertrug sie mit vollkommener Geduld. Der Satan belästigte jedoch den Prohpeten Hiob immer wieder mit arglistigen Gedanken und Behauptungen, die ihm vom Glauben abbringen sollten. Obwohl Hiob, krankheitsbedingt pflegebedürftig ist, beklagt er sich nur über die satanischen Einflüsse und bittet Gott um Hilfe. 

 “Und gedenke Unseres Knechtes Hiob, da er zu seinem Herrn rief: Wahrlich der Satan fügt meinem Unglück und Pein (Schmerz) weiteren Schaden hinzu”. (Sad; 38/41).

Später aber fürchtete er, dass er nicht länger mehr zur göttlichen Anbetung fähig sein würde, weil sich seine Wunden bis zum Herz und zur Zunge ausbreiteten. Deshalb sprach er sein Bittgebet nicht um seiner eigenen Ruhe willen, sondern für seinen Dienst und die Anbetung Gottes:

 “Und (gedenke) Hiobs, da er zu seinem Herrn rief: ‘Unheil hat mich geschlagen (die Krankheit hat mich umhüllt), (Das Übel beunruhigt mich. Es beeinträchtigt meine Zunge, wenn ich Deiner gedenke, und mein Herz, wenn ich Dir diene und Dich anbete) und Du bist der Barmherzigste aller Barmherzigen.’”. (Enbiya; 21/83)

Und Gott, der Gerechte nahm dieses aufrichtige, reine, selbstlose, um Allah’s willen verrichtete Gebet in wunderbarster Weise an. Gott gewährte ihm auf dieses Bittgebet vollkommene Gesundheit und erwies ihm alle Arten Seiner Barmherzigkeit.

“Da erhörten Wir ihn und entlösten ihm von seinem Unheil und Wir gaben ihm seine Familie (wieder) und noch einmal so viele dazu, als Barmherzigkeit von Uns und als Ermahnung für die Verehrenden (Betenden)”. (Enbiya; 21/84)

 


[1] Prof. Dr. Seyyar, Ali; “SEELSORGE IN ISLAMISCHER TRADITION”; Fachtagung: “Wenn die Seele Leid erfährt: Islamische Notfall- und Krankenhausseelsorge im Aufbruch”; Union muslimischer Theologen/innen (UMTI); Mannheimer Institut; Evangelische Akademie der Pfalz; Enkenbach bei Kaiserslautern; (gefördert durch Bundesministerium des Innern und Georges Anawati Stiftung); 11-13.06.2010.

Özel Arama